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Kreuzteich. Vom kleinen Kolibri und der klugen Eule

 

Es war einmal kleiner Kolibri mit schönem Gefieder. Der Vogel war so winzig, das man ihn kaum ausmachen konnte, wenn er über den glitzernden Kreuzteich flog, wo zu dieser Zeit alles in ein sattes Grün getaucht war. Die bunten Farbtupfer der Blumen und Wasserpflanzen setzten leuchtende Akzente in der üppigen Sommervegetation. Die blauen Libellen surrten munter über die Wasseroberfläche. Der Kolibri hatte viele Freunde im Wald, denn er flog immer wieder zu den Wasser- und Landtieren hinab, um mit ihnen zu plaudern. Und er hatte eine Superkraft: Er konnte wunderbar zuhören. Und wenn er auch nicht immer weise war, so hatte er doch meistens eine gute Idee, die seinem guten Willen und seinem Wohlwollen entsprang. So fragten ihn viele Tiere um Rat, denn sie waren in einem Netz gefangen. Und der kleine, der winzige Kolibri half ihnen, so gut er konnte, es sei denn, er machte mal eine Pause…

Eines Tages bekam der kleine, winzige Kolibri Besuch. Es war ein hoher Gast, die kluge, weise Eule. Sie hatte ihr ganzes Leben lang studiert: „Mein lieber bunter Vogel. Ich habe von deinen magischen Kräften gehört. Mein ganzes Leben lang habe ich gelernt, um anderen Tieren zu helfen, aber jetzt bin ich mit meinem Latein am Ende…“ „Was ist dir widerfahren, liebe Eule? Lass es mich bitte wissen…“ „Kannst du mir wirklich helfen, kleiner, bunter Vogel? Ich hege starke Zweifel. Niemand kann mir helfen. Die Eulenkinder verlangen mehr und mehr von mir. Ich muss hart arbeiten, um sie zu füttern. Ich helfe ihnen jeden Tag, aber sie werden einfach nicht flügge… Ich bemühe mich so sehr um sie, aber sie gehorchen mir einfach nicht, tun nicht, was ich sage.“ „Liebe Eule. Es ist sehr schwer, ein Eulenvater zu sein. Es wird der Tag kommen, wenn Eure Kinder Eure Güte und Fürsorge zu schätzen wissen werden. Davon bin ich überzeugt. Seid weiterhin gütig, aber auch streng mit ihnen. Fördert sie nicht nur, FORDERT von ihnen.“ „Ach, mein lieber kleiner Vogel. Du sprichst mir so viel Mut zu. Mein Nest ist zu voll. Der Kuckuck hat dort sein Ei abgelegt; mein Gefieder ist voller Parasiten. Sie zehren an meinen Nerven; sie zehren an meinen Kräften… Raubvögel kreisen über meinem Baum; sie liegen den ganzen Tag auf der Lauer. Sie krächzen laut… Ich kann nicht mehr schlafen… Ich möchte mich so gerne mal ausruhen, doch ich muss viele Tiere des Waldes tagtäglich unterweisen. Das tue ich mit beharrlichem Fleiß und großer Hingabe, obwohl manche träge sind. Aber auch meine Seele muss sich mal ausruhen…“

Die Eule war sehr gesprächig gewesen. Es war ganz still geworden ringsherum im Wald. Nur ein kleines Blatt wirbelte in der Luft; ansonsten regte sich nichts. Alle schienen den Worten der Eule zu lauschen. Wie wahr war es doch! Die Eule hatte ihnen stets gedient, ein freundliches Wort für sie gehabt, ihnen einen oder mehrere Gefallen getan. Der Kolibri hatte Mitleid mit ihr. Sie achtete sie sehr; alle Tiere sollten ihr fortan den gebührenden Respekt zollen, denn sie war ein Schatz für die Tiere des Waldes. „Kommt mit mir, liebe Eule. Folgt mir! Wir fliegen auf den Berg der Weisheit. Dort werden wir die Antwort erfahren.“ Der kleine, winzige Kolibri flog voran, und die starke, stattliche Eule folgte ihm hoffnungsvoll. Bald waren sie hoch oben auf dem Gipfel des Berges der Weisheit angekommen. Sie waren drei Tage und Nächte lang geflogen. Eine mühselige Reise. Viele Wegeräuber. Es war wieder Morgen, und die ganze Landschaft war in magisch-geheimnisvolles Licht getaucht. Sie brauchten nicht zu sprechen, denn sie wussten beide auf einmal die Antwort: Sie lautete „Symbiose“. Dies bedarf keiner weiteren Erläuterung mehr… Die Eule flog drei Kreise vor Freude, und der Kolibri sang ein bekanntes Gospel-Lied. Ein weiser Medicus, ein Freund der beiden, riet der Eule zu einer Kneipp-Kur und zu einem Klosteraufenthalt. Sie erfreuten sich fortan ihrer Freundschaft und des wunderbaren Lebens. Und alle Tiere freuten sich mit ihnen, denn sie hatten gelernt, dass das Zauberwort „Symbiose“ und die Antwort „Respekt“ war. Noch nie war der Wald so schön gewesen! Und wenn sie nicht gestorben sind, dann fliegen die Eule und der Kolibri noch heute, ziehen ihre Kreise über den Kreuzteich. Malerisch-wunderschön lag er da. Frieden war eingekehrt. Frieden und Ruhe. Relative Ruhe.

(Verfasser unbekannt)

 

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